"Wohlfühlklima"

Festivalleiter im Interview

Mit freundlicher Genehmigung des Münchner Feuilleton

Ausgabe Nr. 54 / 08.07. – 05.08.2016

Erst zehn Jahre alt wird das Fünf Seen Festival und dennoch ist es längst seinen Kinderschuhen entwachsen. Zum kleinen Jubiläum räsoniert Festivalleiter Matthias Helwig über die Anfänge, über steigende Besucherzahlen, glückliche Prominenz und das spezielle Sommer-Sonnen-Seen-Feeling.

Thomas Lassonczyk: In diesem Jahr feiert Ihr Fünf Seen Festival zehnten Geburtstag. Zeit für eine erste Bilanz. Wie fällt diese aus?

Matthias Helwig: Unglaublich positiv. Ich hätte nie gedacht, dass sich das Festival so entwickeln würde. Bei der Vorbereitung auf die Reihe „10 Jahre FSFF“ habe ich mir alte Internetseiten angesehen und festgestellt, dass wir auch 2013 schon ein wahnsinnig gutes Programm gemacht haben. Und trotzdem ist es uns irgendwie gelungen, das Festival noch besser, noch professioneller, noch ein bisschen höher stehender zu machen. Dann denke ich zurück, als wir zum ersten Mal in der Schlossberghalle waren und dachten, das wäre jetzt das absolute Nonplusultra. Mittlerweile bräuchten wir einen Saal mit 700 Plätzen, so viele Anfragen haben wir allein für die Eröffnungsfeier. Auf der anderen Seite will ich unbedingt diesen lokalen Charakter beibehalten. Deswegen werde ich auch 2016 viele Kartenwünsche nicht erfüllen können.

TL: Der Erfolg ist umso erstaunlicher, weil es ja mittlerweile Filmfestivals wie Sand am Meer gibt und Sie sowohl räumlich als auch zeitlich sehr eng am Filmfest München „kleben“.

MH: Am Anfang wollte ich auf meinem kleinen Festival einfach nur gute Filme zeigen, Werke, die ich beispielsweise auf der Biennale in Venedig gesehen hatte und von denen ich wusste, dass sie es nie in ein deutsches Kino schaffen würden. Diese Grundidee hat für mich auch heute noch Gültigkeit. Und weil mein Festival unabhängig von Förderern ist, kann ich ein Programm machen, das meines Erachtens manchmal noch dichter ist als jenes vom Filmfest München. Aber wir sind nicht Konkurrenz. Wir überschneiden uns nur mit einem oder zwei Filmen. Sonst ist unser Programm anders und wir präsentieren viele Filme, die nie in München zu sehen sein werden. Also nur bei uns.

TL: Das heißt, Sie fühlen sich in Ihrem Nischendasein pudelwohl.

MH: Das kann man durchaus so sagen. Wir machen hier zwar nur ein B-Festival, wie das so schön heißt, aber dafür können die Menschen fast sicher sein, dass der Film, den sie bei uns sehen, auch wirklich etwas taugt.

TL: Was Ihrem Festival außerdem zu Gute kommt, ist das Umfeld: Eine solvente Bevölkerung, die an Kultur interessiert ist und sich dafür begeistern lässt…

MH: Die Geschichte des Festivals beginnt ja eigentlich mit der Geschichte des Breitwand in Gilching. Wenn ich 1986 das Kino nicht übernommen hätte, dann hätte es auch das Festival 20 Jahre später nicht gegeben. Damals kam ich gerade von der Filmhochschule, wusste nicht, was ich machen sollte und habe aus rein persönlichen Gründen mit dem Kino, das gerade frei war, angefangen. Dass dies in einer Gegend lag, die seitdem wirtschaftlich prosperiert und in der der Anteil an Bildungsbürgern überdurchschnittlich hoch ist, hat mir dabei sicherlich in die Karten gespielt.

TL: Hatten Sie dennoch Überlegungen angestellt, wegen der Nähe zum Filmfest München auf einen anderen Termin auszuweichen?

MH: Natürlich ging mir das durch den Kopf. Aber wir sind nun mal in jeder Hinsicht auf Sommer ausgerichtet. Mit den Seen, mit der Dampferfahrt und den Open Airs. Ein Termin vor München wäre zu früh, und danach müssen wir so weit wie möglich davon weg liegen, dürfen aber auch nicht zu sehr mit den Sommerferien kollidieren.

TL: Das heißt aber auch, dass Sie untypisches Kinowetter brauchen. Statt Regen, Kälte, Schnee lieber Sonne, Wärme, Trockenheit!

MH: Ja, das ist ganz erstaunlich. Normalerweise würde man ja denken: Wenn das Wetter schlecht ist, dann gehen die Leute ins Kino. Im Sommer ist es aber genau umgekehrt. Wenn es kalt ist und der Regen auf die Fensterscheiben prasselt, dann kommt dieses positive Filmfest-Feeling einfach nicht auf. So etwas haben wir zum Beispiel vor vier Jahren erlebt, als die Zuschauerzahlen wegen des nass-kalten Klimas förmlich einbrachen.

TL: 2015 haben Sie mit 19.000 Besuchern einen neuen Zuschauerrekord ausgestellt. Wollen Sie dieses Jahr die 20.000 knacken?

MH: Als ich im letzten Jahr die aktuellen Zahlen erfahren habe, habe ich meinen Pressesprecher angerufen und gefragt: Sollen wir das wirklich veröffentlichen? Denn wenn wir 19.000 schreiben, dann kommt im nächsten Jahr die Presse und fordert die 20.000. Ich kann dazu nur sagen: Natürlich werden wir es versuchen, aber ich finde schon das, was wir bisher geschafft haben, unglaublich, vor allem wenn man bedenkt, welches Einzugsgebiet wir im Vergleich zur Großstadt München haben.

TL: Sebastian Schipper und Florian David Fitz, Doris Dörrie und Heino Ferch, Nicolette Krebitz und Dani Levy – die Gästeliste des 10. Fünf Seen Festivals liest sich wie das Who is Who des deutschen Films. Wie schaffen Sie das?

MH: Das hat wirklich auch mit sehr viel Glück zu tun. Und mit positiver Mundpropaganda. Es ist wohl so, dass die Prominenz sich bei uns wohlfühlt. Und das wird weiter erzählt, nach dem Motto: Dort kümmert man sich um dich, dort hast du auch mal deine Ruhe, und die Leute wollen dich nicht nur ständig ablichten.

TL: Sie haben sich heuer für Serbien als Gastland entschieden. Warum?

MH: Zum einen hat das Land derzeit viele gute Filme hervorgebracht. Wir zeigen in jedem unserer Wettbewerbe jeweils einen von ihnen. Zum anderen wollte ich auch wirklich auf Serbiens grausame Geschichte aufmerksam machen. Eine Geschichte des Brudermords wie wir sie nun in Syrien erleben. Und ich wollte Antworten auf folgende Frage finden: Wie arbeitet so ein Land seine Vergangenheit filmisch auf? Hinzu kommt natürlich auch der aktuelle Bezug: Denn schließlich hatten wir vor 25 Jahren schon einmal eine große Flüchtlingswelle aus den Balkanländern.

TL: Glauben Sie, dass ein Festival wie Ihres den „normalen“ Kinoalltag positiv beeinflussen kann?

MH: Es ist leider so, dass man inzwischen aus jedem Film einen Event machen muss. Nur dann kommen die Leute. Auf der anderen Seite ist das Fünf Seen Festival die beste Werbung für meine Kinos, weil ich dadurch ein neues Publikum darauf aufmerksam machen kann. Trotzdem ist es enorm schwierig, diese Festivalstimmung auf den Programmkinoalltag zu übertragen. Ich habe es da noch vergleichsweise leicht, weil ich einer der wenigen bin, die Kino und Filmfest in Personalunion betreiben.

TL: Eine abschließende Frage: Gibt es etwas, was Sie sich für ihre Jubiläumsausgabe wünschen?

MH: Das wichtigste für mich ist, dass den Menschen das Programm, das wir ausgesucht haben, gefällt. Der größte Erfolg ist immer der, dass Filme, die sich nicht so leicht bewerben lassen, ihr Publikum finden. Und wie im Kinoalltag auch finde ich es immer wieder spannend, was bei den Menschen ankommt und was nicht. Und wenn ich mir dann zum Abschluss Bilder vom Festival ansehe und in viele glückliche Gesichter blicke, dann habe ich doch eine Menge erreicht. Was soll ich mir da noch mehr wünschen?