Rudy hat sich in seiner neuen Rolle als Rentner noch nicht richtig eingefunden: Die Beine hochgelagert auf dem Sofa liegend, spricht er am Handy mit Unbekannt. Seine Frau hat sich gerade bei einem Skiunfall die Schulter gebrochen. Käthi falle halt oftmals etwas blöd, sagt Rudy und fährt mit einem Lachen fort, dass er nun rund um die Uhr als Krankenschwester im Einsatz sei. Gleichzeitig sehen wir die Patientin, ihren Arm in einer Schlinge, wie sie mühsam versucht, eine Decke über den Tisch zu legen und beinahe daran scheitert.
Es ist die Kunst von Für immer Sonntag, dass solche Szenen nicht zu einer Blossstellung des Protagonisten werden. Vielmehr gelingt es Steven Vit im Dokumentarfilm über seinen Vater, die Widersprüche und Reibungspunkte im Leben des Ehepaars mit einem verständnisvollen Blick zu zeigen – dabei aber auch unangenehme Momente auszuhalten.
Zum Zeitpunkt des Telefongesprächs ist der Film bereits weit fortgeschritten und das Publikum hat Rudys Kampf mit der Pensionierung verfolgt. Nur mit einer Kamera ausgestattet, begleitete Vit seinen Vater auf der letzten Dienstreise nach China und zeigt, wie das Leben danach ist, wenn kein Wecker mehr klingelt und plötzlich jeder Tag ein Sonntag ist. Manchmal schlüpft der Regisseur in die Rolle der «fly on the wall» und beobachtet Alltagsmomente – Streitereien oder das gemeinsame Arbeiten im Garten – die zwischen Ernst und Situationskomik changieren. Bei letzterem kommt einem gattungsübergreifend Loriots Pappa ante Portas in den Sinn: Die deutsche Komödie über den Neurentner Heinrich Lohse ist in erster Linie eine ebenso genaue wie warmherzige Beobachtung der deutschen Mentalität und viele Lacher funktionieren so gut, da man sich selbst ertappt fühlt oder das eigene Umfeld wiedererkennt. Weniger überspitzt vollbringt Für immer Sonntag etwas Ähnliches in Verbindung mit der Schweizer Mentalität und der Boomer-Generation, wobei der Film mitunter auch unangenehme Nähen entwickelt. So etwa, wenn Rudy mit unverhohlenem Stolz das neue Ordnungssystem in der Küche erklärt – wie jetzt alles mit einem Handgriff erreichbar sei. Dass Käthi in den letzten 30 Jahren im Alleingang für die Familie kochte, ignoriert er.
Vit ist in seinem Dokumentarfilm nicht an einer kohärenten Filmsprache interessiert. Neben den präzis ausgewählten Alltagsbeobachtungen ist er wiederholt selbst vor der Kamera zu sehen, befragt seine Eltern und kommentiert das Gesehene in seiner Voice-Over. Es gibt Momente, in denen Rudy nicht mehr Antworten mag, mit den Tränen kämpft oder Käthi ihren Sohn darum bittet, mit seiner Kamera das Schlafzimmer zu verlassen. Respektvoll, aber ohne falsche Zurückhaltung, nähert sich Vit den eigenen Eltern und wie sie mit der neuen Lebenssituation versuchen zurechtzukommen. In der überlegten Montage wird der Kampf transparent. Nicht nur Rudys mühsame Neuerfindung, sondern auch, wie Käthi damit umgehen muss, dass ihr Mann nun jeden Tag zuhause ist. Nach 30 Jahren sei das Eheleben eben auch ein grosses Stück Arbeit, sagt sie einmal. Dank der Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit im Film hat die Aussage nicht die erwartete Schwere.
Immer den richtigen Ton treffend, ist Steven Vit mit Für immer Sonntag eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit den eigenen Eltern gelungen und daraus wurde auch ein Zeitdokument, das in prägnanten Momenten die Mentalität einer Generation einfängt, die sich langsam aus unserem Arbeitsleben verabschiedet. Dass passend zum Titel dabei alles halb so schlimm erscheint, ist vielleicht die grösste Leistung des Films.